Brecht am RGW oder Die etwas
andere Hochzeitsfeier
Von einer Aufführung ist zu berichten, die der
Grundkurs Dramatisches Gestalten am 22. April diesen Jahres in der
unteren Turnhalle auf die Bühne brachte. "Bühne"
kann man nun ja mit Fug und Recht sagen, seitdem unsere Schule einen
eigens dafür angefertigten Guckkastenbau hat. Aus mehreren
Vorschlägen hatten die Schülerinnen und Schüler,
geführt durch die Kursleiterin OStRin Martin (Regieassistenz
StRefin Böswald), Brechts "Kleinbürgerhochzeit"
ausgewählt. Ob es eine nachgetragene Hommage an das verflossene
Brecht-Jahr war, steht dahin.
Gleich vorweg: Es war eine gelungene Vorstellung!
Worum geht es in diesem Stück? Eine Hochzeitsgesellschaft sitzt
beim Essen. Dem Zuschauer fällt gleich auf, dass die Unterhaltung
aus Belanglosigkeiten, ja sogar aus Sticheleien besteht. Die Harmonie
scheint also brüchig, und dieser Verdacht erweist sich im weiteren
Verlauf als nur zu berechtigt. Man steigert sich in gegenseitige
Anschuldigungen und Bloßstellungen. Der Bräutigam hat
die Möbel selber getischlert - es ist die Notzeit nach dem
Ersten Weltkrieg! -, worauf er eigentlich stolz sein könnte,
aber die Stühle und die große Tafel zerbrechen nach und
nach, die Schranktür klemmt, die Besucher verletzen sich an
Holzspreißeln. Mit den Zimmermannskünsten des frischgebackenen
Ehemanns war es also nicht weit her. Nicht genug damit, Brecht wäre
nicht Brecht, wenn sich die Braut nicht noch als schwanger erwiese:
Das Fest endet in Streit und Chaos.
Der Kurs hat das Stück nicht einfach übernommen, sondern
behutsam bearbeitet. Im Programm drückt sich das auf den ersten
Blick durch die bei Brecht nicht vorgesehenen drei "dramatischen
Gestalten" aus. Eigentlich kann nur eine Profi-Bühne mit
einer Fachtischlerei das in die Brüche gehende Mobiliar realitätsnah
gestalten. Hier kam man auf den pfiffigen Einfall, dass eine der
oben erwähnten "Gestalten" an den vorgesehenen Stellen
kleine Möbel im Spielzeugformat zu Bruch gehen ließ.
Als weiterer Zusatz wurde am Anfang das Kästner-Gedicht "Die
Entwicklung der Menschheit" rezitiert, das wohl als eine einführende
Interpretation gemeint war, und außerdem wurde noch ein Song
von Brecht selber eingefügt ("Lied von der Kellerassel"),
den er zwar nicht für das Stück gedacht hatte, jedoch
gut hierher passte. Ein in den Text integrierter Song wurde gekonnt
tänzerisch ausgestaltet.
Ich fand die Leistung aller Akteure deshalb bestechend, weil sie
erfreulich deutlich und sauber artikulierten. Präzise abgestimmt
waren auch Gestik, Mimik und die Kostümierung. Alle Spielerinnen
und Spieler trugen zum Gelingen bei, so dass im Grunde keine Rolle
herausgehoben werden kann und muss.
Diesen Gesamteindruck teilte offenbar auch das Publikum, denn oft
lachte es und spendete spontan "Beifall auf offener Szene".
Der Schlussapplaus war verdientermaßen heftig und belohnte
eine Leistung, wie man sie nur sehr selten zu sehen bekommt - und
die auch nicht ohne weiteres erwartet werden kann, wenn man die
Möglichkeiten eines Schul-Theaters realistischerweise bedenkt!
Ob Brecht mit dieser "Farce auf die Fassadenwelt des Spießbürgertums",
so die Fachliteratur, immer den richtigen Ton trifft, ob wir tatsächlich
miterleben, wie es "im richtigen Leben" zugeht, darüber
gehen und gingen die Meinungen auseinander!